Samstag, 7.4.2012: 8 Uhr – endlich ist es soweit. Start des 200km-Brevets in Haid/Ansfelden. Nach Wochen und Monaten des Hinfieberns, einigem frühen Aufstehen zum Trainieren, den ein oder anderen Pannen (Felgenbruch, neues Rad, abgefallene Kurbel) stehe ich also gemeinsam mit ca. 40 anderen „Wahnsinnigen“ (wie mich mein Umfeld nennt) am Start unter einem Himmel grau in grau, der nur darauf wartet seine Schleusen zu öffnen. Warum habe ich mir eigentlich genau diesen Termin ausgesucht und habe nicht einen späteren Termin anvisiert wo ich auch länger dafür
trainieren kann oder die Wetteraussichten besser sind?!
Im Endeffekt waren es ja doch nur ein paar Wochen mit effektivem „Training“ sofern man das so nennen kann. 1-2 Mal die Woche mit dem Rad zur Arbeit (71km), dazu noch die Alltagsfahrten sowie am Sonntag vorm Brevet einen Teil der Strecke abfahren. Nicht das was ich mir so vorgestellt hatte – eigentlich wollte ich ja vor allem schon viel früher anfangen doch Memme wie ich bin war es mir einfach zu kalt. Und Rollentrainer habe ich auch noch keinen.
Durch einen Felgenbruch beim Liegerad habe ich dann noch mal fast 2 Wochen verloren, denn das Vorderrad ist immer noch nicht neu eingespeicht (20“ mit Nabendynamo ist auch im Radladen anscheinend nicht so einfach) und der (Gebraucht-)Kauf vom Liegerenner hat ja auch etwas gedauert. (das wollte ich aber sowieso ja machen)
Naja – jedenfalls stehe ich jetzt hier mit einem Rucksack voller Essen (Müsliriegel, Bananen, Käseweckerl, Reiswaffeln, Kekse) und Ersatzschläuche, der im Vergleich zu den anderen Teilnehmern viel zu voll und schwer ist. Manche haben ja gar nichts mit.
Noch dazu muss ich den Rucksack beim Fahren ja am Bauch tragen, weil ich bei meinem Rad ja keine Möglichkeit habe eine Tasche zu montieren.
Auch egal, besser zu viel mit als zu wenig.
Die anderen am Start sehen alle so aus als würden sie das jede Woche machen, durchwegs mit dem Anschein nach leichten Rennrädern ausgestattet, nur ich bin wieder mal der Einzige der da mit der Liege etwas heraussticht. Trotzdem bin ich froh über mein ZZ Horizont Fast. Da wird mir am Abend sicher weniger wehtun als mit einem Up.
Am Start herrscht eine leicht gespannte aber trotzdem lockere Stimmung. Es wird gescherzt und noch etwas herumgealbert. Das ist auch ein Grund warum ich lieber bei einem Brevet mitfahren wollte (neben der Tatsache dass ich mit dem Liegerad fahren
kann) – da ist alles ein bisschen lockerer als bei einem „echten“ Rennen.
So, es geht los. Der Tross setzt sich in Bewegung. Ich warte bis alle vor mir sind und will ganz hinten nach fahren. Dadurch nehme ich niemandem den Windschatten oder behindere. Gleich beim Wegfahren das erste Missgeschick. Ich fahre mit ausgeklapptem Ständer weg. In der Eile des Starts habe ich das glatt vergessen. Peinlich. Ich bleibe also noch mal kurz stehen, klappe ihn hektisch im Sitzen ein. So, nun wieder schnell eingeklickt und hinterher, sind ja alle schon 20m vor mir.
Mir wurden vor dem Start andere Teilnehmer gezeigt, die eine ähnliche Zeit wie ich (10h) anvisiert haben. Das entspricht ja einem Stundenschnitt von ca. 20km/h. MeinPlan war also mit so ca. 22-24km/h die ersten 50, 60 km Kilometer zu fahren, damit ich vor allem über die Berge und hinten raus noch genügend Kraft habe.Doch zu Beginn glaube ich ich bin im falschen Film. Ein paar noch Wahnsinnigere sprinten regelrecht weg, sodass man sie schon bald nicht mehr sieht (werden auch ca. nach 6 Stunden schon wieder hier sein), der Rest fährt geschlossen mit ca. 30-35km/h (!)
hinterher.
Da ich nicht sofort abreissen lassen will und auch hinsichtlich Orientierung mir noch nicht so sicher bin hirsche ich also hinterher. Immerhin geht es im Windschatten ganz am Ende des Feldes gar nicht so schlecht. Trotzdem frage ich mich permanent ob ich jetzt doch langsamer fahren soll oder nicht. Nach 20 Minuten und 10km tut sich jetzt doch mittendrin eine kleine Lücke auf und wir fahren endlich unter 30. Plötzlich fahren welche rechts an den Rand, anscheinend mit einem Problem. Ich fahre langsamer und frage ob ich was tun kann. Aber anscheinend ist es nicht so schlimm,
deswegen bleibe ich nicht stehen und fahre weiter. Diese hintere Gruppe ist nun völlig zerrissen und somit fahre ich innerhalb von 2 Minuten statt in einem Feld vollkommen alleine.
Na gut, das ist nichts ungewöhnliches, das bin ich ja gewöhnt. Trotzdem war es in der Schnelligkeit überraschend.
Durch eine Ampel sehe ich anschließend eine Zeit lang einen Fahrer vor mir und muss mich nicht weiter darum kümmern wo ich lang fahren muss (ist ja immerhin der Veranstalter, der wird den Weg wohl schon kennen), doch da ich schon so dringend eine Pinkelpause einlegen muss ist das nach ein paar Kilometern auch bereits wieder vorbei.
Ich kann sogar während der Fahrt twittern:
Km33 zum glueck regnet es nicht – feld zerrissen. Fahre ganz allein mein
tempo (22) #brevet #haid200
Kaum geschrieben, fängt es bei Kilometer 36 auch schon an zu regnen. Ist nur ein Tröpfeln vorerst und stört nicht groß – aber lieber wäre es mir gewesen es wäre weiterhin trocken. Wie sollte ich auch ahnen, dass es nun kaum mehr ohne Regen weitergehen sollte.
Kurz vor der 1. Kontrollstelle in Pinsdorf wird der Regen stärker. Ich merke bereits die ersten 60km (+ die 20km Anfahrt zum Start) in den Beinen. Doch mit einer Banane beim KP ist das halb so schlimm. Immerhin sehe ich auch beim Ankommen einen anderen Fahrer, der allerdings recht bald schon wieder weiterfährt.
Ich fahre somit alleine weiter. Da ich diesen Teil der Strecke bereits kenne geht es recht schnell voran, sodass ich gefühlsmässig nur bisschen fahren muss und schon beim steilen Anstieg ankomme. Das Stück bergauf davor war allerdings schon anstrengender als ich gehofft hatte. Wie geplant schiebe ich die steilen Anstiege hinauf, weil meine Übersetzung für die 12% nicht ausreicht und ich sonst viel zu viel Kraft brauchen muss. Trotzdem holt mich noch kein Fahrer ein.
Am höchsten Punkt vor der Abfahrt kann ich dann den nächsten Tweet absetzen:
Km76 höchster punkt vom #brevet #haid200 leider mittlerweile regn
ständiger begleiter, andere habe ich letztes mal bei kp gesehen…
Schriebs und schon stehen plötzlich 3 andere neben mir. Gemeinsam gehen wir die steile Abfahrt an, doch weil sie mir zu stark bremsen und ich meine eigenen Bremsen nicht zu sehr überlasten möchte lasse ich schneller laufen und bin bald wieder alleine unterwegs. Im Vorbeifahren raune ich noch ein „Beim nächsten Berg sehen wir uns wieder“ zu und bin dahin.
Am Attersee angekommen geht es relativ flott weiter nach Unterach. Der Regen hat kurzzeitig aufgehört, wird allerdings bald wieder kommen. Meine Beine fühlen sich jetzt knapp vor Hälfte der Strecke schon sehr schwer an. Ich werfe also relativ kurz hintereinander 2 Müsliriegel rein damit es wieder besser wird. Tatsächlich komme ich dann wieder besser voran und kurz vor dem 2. steilen und langen Berg (Kronberg) kommt ein Stück wo es richtig lässig zum fahren ist. Mit über 30km/h fetze ich auf einer ebenen Strecke mit bisschen Rückenwind dahin und warte auf die nächste starke Steigung. Wieder muss ich schieben und mitten in der Steigung sehe ich die Kollegen wieder kommen. Da es aber flacher wird kann ich wieder treten und sie kommen nicht heran. War aber nicht mein Ziel, ich will nur mein Tempo durchziehen.
2. Kontrollpunkt und Labestelle – es gibt heißen Tee – eine Wohltat, denn Finger und Hände sind durch Nässe und Kälte schon total steif gefroren und allein das Halten vom Teebecher hilft hier schon. Nach und nach kommen auch die anderen und die Pause tut gut. Nach einer Zeit merke ich aber, dass ich zu zittern beginne – offensichtlich bin ich zu lange herumgestanden. Ich fahre also schnell weiter und warte wieder nicht auf die anderen, aber ich zittere schon zu stark als dass ich noch warten könnte – ich brauche Bewegung, damit mir wieder warm wird. Immerhin sind es nur mehr 80km und die steilsten und längsten Anstiege liegen bereits hinter mir, der Brevet sollte also quasi gelaufen sein. Denke ich mir.
Nach dem Kontrollpunkt kommt gleich eine steile Abfahrt und meinen Oberkörper reißt es im Dezimeter-Bereich hin und her vor Kälte. Gerade bei den engen Abfahrtskurven muss ich ganz schön aufpassen, dass ich keinen Sturz baue. Ah, die Abfahrt ist vorbei und ich bin im Ort Attersee. Doch kaum bin ich wieder beim See fängt es zu schütten an und der Regen tut nach und nach auch richtig weh. Da bemerke ich erst, dass winzige Hagelkörner dabei sind. Doch mir ist einfach zu kalt als dass ich mich wo unterstellen möchte, ich will einfach nur weiterkommen. Außerdem sehe ich auch gar keine Möglichkeit zum Unterstellen.
Nachdem ich nun richtig durchnässt bin wird es mit dem Kältegefühl nicht besser. Im Gegenteil nun wird es auch schon im Flachen ungemütlich.
Seewalchen – kurz spiele ich mit dem Gedanken nach Hause abzuzweigen, aber das Ziel ist ja nicht mehr so weit entfernt (70km). Die Steigung in Schörfling habe ich allerdings unterschätzt. Erneut muss ich absteigen und schieben, weil es einfach zu lang und zu steil ist.
Jedesmal absteigen und wieder aufsetzen ist mittlerweile eine Qual, wenn man mit dem nassen Rücken sich beim Sitz anlehnt und es braucht etwas bis es wieder angenehmer wird.
Mir schiesst der Gedanke „Aufgeben tut man nur einen Brief“ durch den Kopf. Ich ziehe das durch! Wozu habe ich mich denn die paar Wochen vorher gequält und habe nun auch die ganzen schlimmen Passagen erfolgreich befahren?!
Trotzdem wenn der Kopf mal in eine Richtung zum Denken beginnt wird es schwer in wieder in eine andere zu bringen. Gerade dann wenn man nichts anderes zum Denken hat.
Denn das Kälte und Schüttelfrost-Gefühl geht nicht mehr weg. Zittern ist untertrieben, mich reißt es die ganze Zeit hin und her vor Kälte. Und beim Nachdenken kommt mir, dass es ja gar nicht reicht den Brevet zu Ende zu fahren und was warmes zu essen. Ich muss ja in den nassen Sachen auch noch zum Bahnhof fahren und dann nach der Zugfahrt das letzte Stück heim fahren. Wird also mit der Reststrecke wohl noch so mind. 5 Stunden dauern. Das kann ich leider nicht durchhalten und ich will mir ja auch nicht die nächsten Tage und Wochen durch eine Krankheit vermiesen.
Deswegen fällt dann doch die schwere Entscheidung zugunsten des Aufgebens.
Km140 – AUFGABE!! Bin total unterkühlt und klatschnass
Ich bleibe bei der Himmelreichkreuzung stehen und stelle mich beim Hofer unter. Ich möchte noch auf die Nachkommenden warten und ihnen meinen Brevet-Pass und die Roadmap mitgeben. Damit auch alles seine Richtigkeit hat. Denn ich habe keine Telefonnummer wo ich Bescheid sagen könnte dass ich aufgegeben habe.
Da es aber einige Zeit noch dauert „scheppere“ ich vor mich hin und merke, dass auch bei der rechten Oberschenkelinnenseite ein starkes Ziehen vorhanden ist, das es sehr schmerzhaft macht wieder aufs Rad aufzusteigen. Somit ein weiterer Grund der mich in meiner Entscheidung bestätigt.
Da, endlich kommen die anderen. Ich kann meine Unterlagen mitgeben, wünsche noch eine gute Fahrt und mache mich anschließend auf den Heimweg. Die 10km sind zwar auch kein Vergnügen mehr aber dann trudle ich doch endlich zu Hause ein, werfe das Gewand ab und ab in die Badewanne. Nach und nach taue ich wieder auf und der Schüttelfrost geht auch wieder vorbei.
Meine Kleidung war wirklich vollkommen durchnässt. Obwohl ich eine Regenjacke an hatte ist alles durch und durch nass – Schuhe, Socken, Hose, Knielinge, Leibchen, Unterhose, Handschuhe, Sitzbezug. In Summe habe ich da wohl mindestens 3kg mehr mitgeschleppt.
Jedenfalls meine Hochachtung an alle Finisher – ich war anscheinend noch nicht so weit, dass ich den Brevet fertig fahren konnte. Vielleicht fehlt mir da noch Ausrüstung, Rennhärte oder einfach nur mehr Training. Aber ich werde es besser machen und wiederkommen.
Und dann fahre ich ihn durch. Versprochen.
P.S.: Danke auch an die Organisation – jetzt weiß ich, dass ich nächstes Mal nur mehr einen Bruchteil an Proviant mitnehmen muss. Und das Roadbook war obwohl ohne Karten ausgezeichnet und konnte mich auch ohne GPS sehr gut orientieren wo ich weiterfahren musste.
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